Dienstag, 22. November 2011

Volksabstimmung Stuttgart 21 – Meinungsbildung schwer gemacht!


Eines vorweg: Ich wohne erst seit zwei Jahren in Baden-Württemberg, aber nicht im „Ländle“ sondern in Nord-Baden in der Nähe von Mannheim. Eigentlich ist also die Abstimmung über das Großprojekt Stuttgart 21 für mich als gebürtigen Berliner emotional und geographisch weit weg. Ich fühle mich keinster Weise für die Region Stuttgart verantwortlich oder bilde mir ein, mir ein objektives Bild von der Lage machen zu können. Ich weiß auch nicht, ob man eher den Befürwortern oder den Gegnern des Großbauprojektes glauben sollte. Beide Seiten beschimpfen und beschuldigen sich gleich übel. Dabei habe ich mir sogar große Teile der Schlichtungsgespräche im TV oder Internet angeschaut und glaube von mir sagen können, politisch interessiert zu sein. Aber obwohl ich mir nicht anmaße eine sinnvolle Entscheidung für oder gegen Stuttgart 21 treffen zu können, bin ich nun gezwungen mich noch einmal intensiv damit auseinander zu setzen, denn am kommenden Sonntag, den 27.11.2011 darf ich über Stuttgart 21 abstimmen.

Volksabstimmungen haben den Ruf nicht sehr beliebt bei den Politikern zu sein. Aus ihrer Sicht durchaus verständlich, wird ihnen doch eine gewisse Entscheidungsbefugnis entzogen. Dass viele Politiker das Volk nur als „Stimmvieh“ begreifen, macht die Sache keineswegs besser.
Als Berliner habe ich bereits drei Volksabstimmungen (Länderfusion 1996, Flughafen-Tempelhof 2008 und Pro Reli 2009) mitmachen dürfen und habe somit zumindest ein paar Erfahrungen in dem Bereich. Ich bin grundsätzlich dafür die Möglichkeit von Volksentscheiden auszuweiten und wenn möglich auch auf Bundesebene zuzulassen. Allerdings sind nicht alle Themen geeignet für eine Volksabstimmung. Würde man beispielsweise das Volk über den Bundeshaushalt entscheiden lassen, wäre das vermutlich fatal. Als Ideal stelle ich mir eine ausgewogene Mischung aus direkter und repräsentativer Demokratie vor.

Verständlichkeit der Fragestellung

Das Problem einer Volksabstimmung ist es, dem „normalsterblichen“ Bürger das Problem und die Lösungsmöglichkeiten begreiflich zu machen. Nicht selten geht es dabei um sehr komplexe Sachverhalte, die selbst Experten nur schwer einschätzen können. Bei Stuttgart 21 ist es leider nicht anders. Die wichtigste Erkenntnis aus den Schlichtungsgesprächen zu Stuttgart 21 war, dass sich selbst die Experten uneins sind. Wie „massenkompatibel“ ist nun die Volksabstimmung in BaWü? Werfen wir als erstes ein Blick auf die eigentlich Frage, die beantwortet werden muss. Diese findet man in einem kleinen Informationsheft, was allen Haushalten zugestellt wurde. Auf der vorletzten Seite befindet sich ein Muster eines Abstimmzettels:



Mal ganz ehrlich: Wer hat auf Anhieb, beim ersten mal lesen, sofort verstanden, wo er das Kreuz machen muss? Niemand? Also nochmal lesen! Nach kurzer Zeit versteht man, dass wenn man FÜR Stuttgart 21 ist, man NEIN ankreuzen muss und wenn man GEGEN Stuttgart 21 ist ein JA. Mich würde nach der Abstimmung eine Statistik interessieren, wie viele Leute das falsch gemacht haben.

Das S 21-Kündigungsgesetz

Die nächste Frage, die sich aus dem Abstimmungszettel ergibt, ist „Was ist das S 21-Kündigungsgesetz?“ Dieses Gesetz ermächtigt – grob gesagt – die aktuelle Landesregierung bestimmte Verträge mit der Bahn und Bauunternehmen im Zusammenhang mit Stuttgart 21 zu kündigen. Welche das sind und welche Verträge die Landesregierung vor hat zu kündigen, geht aus dem Gesetz nicht hervor. Der Gesetzestext ist übrigens auf der Rückseite der Wahlbenachrichtigung abgedruckt. Er sieht so aus:



Wer jetzt denkt „Hä? Das ist alles?“, dem geht es so wie mir. Diese lumpigen paar Zeilen sollen lösen, was keine Schlichtung, keine Demonstration und keine politische Auseinandersetzung geschafft hat? Kaum zu glauben, aber wahr!

Phrasen als Begründungen

Viele werden nun denken: „Die Bürger sind aber klüger, als viele glauben!“ Und damit haben sie völlig recht. Ich bin auch nicht der Ansicht, dass man den Bürgern die Mündigkeit absprechen sollte. Aber man muss ihnen die Problematik auch mit klar verständlichen Worten erläutern. Die Antwort auf mangelnde Transparenz und geringes demokratisches Mitspracherecht kann nicht „Juristendeutsch“ heißen. Das ganze erinnert mich unweigerlich an die Werbespots der ERGO Versicherungsgruppe, die einem zum Teil ja direkt aus dem Herzen sprechen.
Es gibt Versuche, die Problematik dem Volk näher zu bringen. Besagtes Informationsheftchen enthält beispielsweise 10 Gründe für und 10 Gründe gegen Stuttgart 21. Interessanterweise wird das im Inhaltsverzeichnis so formuliert:

Zehn Gründe FÜR die Kündigung und Auflösung der Finanzierungsvereinbarung zu Stuttgart 21“

und

Zehn Gründe GEGEN die Kündigung und Auflösung der Finanzierungsvereinbarung zu Stuttgart 21“

Die Wort „für“ und „gegen“ werden auch im Heft mit Großbuchstaben geschrieben. Alles eher verwirrend, wie ich finde.
Aber auch die eigentlichen Begründungen sind nicht unbedingt sehr zielführend. Ein Beispiel von vielen:

Gegen Stuttgart 21:
Stuttgart 21 ist zum Schaden des Landes und seiner Bürgerinnen und Bürger. Das Projekt bleibt weiter hinter den Versprechen zurück. Die Kosten stehen in keinem Verhältnis zum geringeren Nutzen. Stuttgart 21 heißt: zu viel Geld für zu wenig Bahnhof!“

Für Stuttgart 21:
Ganz Baden-Württemberg profitiert von Stuttgart 21. Die Fahrtzeiten werden verkürzt, Verbindungen verbessert und der Schienenverkehr dadurch attraktiver. Es werden Arbeitsplätze weit über die Region hinaus geschaffen.“

Tja, und nun? Es steht Aussage gegen Aussage. Noch ein Beispiel? Bitte:

Gegen Stuttgart 21:
Schon vor Baubeginn sind die Kosten von knapp 3,076 Milliarden Euro bei Vertragsabschluss bis knapp unter den Kostendeckel von 4,5 Milliarden Euro gestiegen.“

Für Stuttgart 21:
Die neuste Kostenkalkulation bestätigt: S 21 ist im Kostenrahmen und hält weiterhin einen Puffer für mögliche Baupreissteigerungen vor.“

Schaut man genau hin, sind sich hier sogar beide einig, nur sieht jeder es als SEIN Argument an. Und so geht es munter weiter. Es gibt noch einige weitere Erläuterungen in dem Heftchen, die eigentlich nur Leuten, die ihre Entscheidung schon gefällt haben, in ihrer Meinung bestärken. Eine differenzierte Meinungsbildung kann mit dieser Broschüre wohl eher nicht erfolgen.
Es gibt dann zusätzlich noch eine Internetseite, die mit kleinen Videos und Textbeiträgen die Bürger informieren zu versucht. Dort man man sich übrigens auch besagte Broschüre als PDF herunter laden. Insgesamt ist die Seite aber in etwa so informativ wie die Videobotschaften der Kanzlerin auf Youtube.
Vielleicht gibt es auch in dieser Woche noch viele Informationsstände und Aktionen, die auf die Volksabstimmung hinweisen werden und informieren wollen. Allerdings habe ich bei mir hier bisher nichts dergleichen gesehen. Wäre schade, wenn sich solche Aktionen nur auf den Raum Stuttgart beschränken würden, denn abgestimmt wird in ganz BaWü!
Natürlich gibt es hunderte weiterer Seiten und Blogs, die sich auf die eine oder andere Seite mit dem Thema befassen, aber neutrale Informationen zu erhalten ist nahezu unmöglich. Zu emotional wird die Debatte inzwischen geführt.

Volksabstimmung als neues Instrument der Demokratie

Nur damit das richtig verstanden wird: Ich bin froh, dass es diese Volksabstimmung gibt und ich vermute sogar, dass es aus juristischen Gründen kaum eine andere Möglichkeit gegeben hätte, die Volksabstimmung so zu gestalten, wie sie nun laufen wird. So gesehen muss man den Grünen in BaWü danken, dass sie die erste Volksabstimmung in diesem Bundesland überhaupt möglich gemacht haben. Aber die ganze Vorgehensweise zeigt: Im Umgang mit Volksabstimmungen sind die Politiker gerade in BaWü bisher unerfahren und ich bin mir nicht sicher, ob überhaupt so richtig darüber nachgedacht wurde, dass man auch den normalen Menschen erklären muss, was das alles bedeutet.
Zu dieser Unerfahrenheit gehört auch der Umgang mit dem Ergebnis. Ich bin gespannt, wie die unterlegene Seite reagieren wird. Die Politiker werden sicherlich das tun, was sie immer tun. Sie werden sich ab dem 27.11.2011 19 Uhr zurück lehnen und sagen „Das Volk hat entschieden!“ Hier kann man nun auch ganz bequem die Verantwortung auf jemand anderes verschieben.

Ende des Konflikts

Gespannt darf man allerdings darauf sein, wie die bürgerlichen Konfliktparteien auf das Ergebnis reagieren werden. Es wird sich zeigen, ob beide Seiten wirklich verstanden haben, welche Bedeutung diese Abstimmung hat. Diese Volksabstimmung ist der letzte Schritt eines jahrelang anhaltenden Streits. Was viele auf beiden Seiten aber vielleicht nicht begreifen: es MUSS der letzte Schritt sein. Auf beiden Seiten wurde immer wieder gerne betont, dass es um den „Willen des Volkes“ geht. Beide Seiten haben immer wieder betont, dass ihre Position der „Wunsch der Mehrheit“ ist ohne dies irgendwie belegen zu können. Nun ist es soweit! Das Volk wird befragt und egal, wie es ausgeht: Die Unterlegenen sollten sich fügen, denn es gehört auch zu einer Demokratie, die Mehrheiten anzuerkennen – gerade nach einer Volksabstimmung! Allerdings habe ich so meine Zweifel, dass diese Information bei wirklich allen Demonstranten angekommen ist. Zu emotional ist die Auseinandersetzung inzwischen geworden.

Man kann nur hoffen, dass es in Zukunft mehr Volksabstimmungen geben wird und man aus dieser hier lernt. Wenn es die neuen politischen Kräfte in Baden-Württemberg wirklich ernst meinen mit einem neuen Demokratieverständnis sollten sie als nächstes die sehr hohen Hürden für Volksabstimmungen senken. Das wäre mal ein echtes Zeichen von Veränderung!


Übrigens: Derzeit tendiere ich dazu FÜR Stuttgart 21 also GEGEN das Kündigungsgesetz zu stimmen. Aber entschieden habe ich mich noch nicht. Vielleicht findet ja noch jemand das richtige Argument mich für eine Seite zu begeistern. Viel Hoffnung habe ich aber nicht.

Update vom 26.11.2011:
Eben gerade habe ich zufällig dieses Video auf der Seite der Südwest Presse entdeckt, was die von mir hier angesprochene Thematik ganz gut verdeutlicht, auch wenn das natürlich nicht repräsentativ ist.





Dienstag, 8. November 2011

7 Tage Fasten - Das Fazit

Es ist nun schon einige Zeit her, dass ich mein Fastenprojekt abgeschlossen habe. Ich hatte noch ein kleines Fazit versprochen, bin aber leider erst jetzt dazu gekommen, was zu schreiben.

Wie ich schon in meinem ersten Blogeintrag zum Fastenthema kurz ausgeführt habe, war das Ganze für mich nur ein Experiment. Es diente weder einem gesundheitlichen noch einem politischen oder gar religiösen Zweck. Ich habe mir einfach schon seit längerem die Frage gestellt, wie einfach oder schwierig es eigentlich ist zu fasten. Interessant ist auch die Frage, inwieweit Fasten eigentlich alltagstauglich ist.

Die Vorbereitung

Als Vorbereitung darauf habe ich mal ein wenig im Internet gewühlt und mir die Tipps diverser Seiten durchgelesen. Auch in das eine oder andere Buch habe ich mal rein geschaut. Auf das komplette Durcharbeiten der Bücher habe ich aber verzichtet.
Beschäftigt man sich mit dem Thema, stellt man schnell fest, dass es viele verschiedene Arten von Fastenkuren gibt. Diese unterscheiden sich in der Art und Menge der Tees und Säfte, die man so in der Zeit zu sich nehmen darf und sollte. Hier gehen die Meinungen zum Teil weit auseinander. Das Ziel ist aber komischerweise bei allen gleich: Sich hinterher besser fühlen. Es geht nicht, wie man vielleicht annehmen sollte um Gewichtsabnahme oder um einen echten gesundheitlichen Effekt. Nein, das Primärziel ist schlicht "Sich besser fühlen!" Zum Thema Gewichtsabnahme sind sich die Ratgeber auch ziemlich einig: Fasten ist keine Diät!

Sich wohl fühlen

Wie aber erreicht man nun dieses wohlige Gefühl, dass einem die Fastenratgeber versprechen? Das Zauberwort hier heißt "Darmreinigung". Die meisten Fastenkuren gehen davon aus, dass ein gereinigter Darm ein glücklicher Darm ist. Und um einen sehr bekannten Werbespruch etwas frei zu zitieren: "Ist der Darm glücklich, freut sich der Mensch!"
Wie ich aus meiner eigenen Ausbildung (studierter Biologe und ausgebildeter Sanitäter) weiß, hat der Darm in der Tat einen großen Einfluss auf unser Wohlbefinden. Eine ganze Industrie hat sich dieses Wissen bereits zu nutze gemacht: die Joghurt-Industrie. Mit so griffigen Schlagworten wie "linksdrehende Jogurtkulturen" oder irgendwelchem "probiotischem" Krempel wird einem suggeriert, dass man da gaaaaanz liebe Mikroorganismen in den Körper lässt, die mal ordentlich aufräumen und den Darm liebkosen. Das Problem: Es gibt keinen Beweis dafür, dass das überhaupt funktioniert. Bevor nämlich die Joghurt-Kulturen in den Darm gelangen, müssen sie durch den Magen. Dieser hat eine sehr interessante Funktion: Er tötet Bakterien und Mikroorganismen weitgehend ab, damit diese sich nicht im Körper ausbreiten und Krankheiten verursachen können.

Wer sich mit fasten beschäftigt, merkt schnell, dass "sich wohl fühlen" ein sehr relativer Begriff ist. Generell ist Fasten immer als eine Art Gesamtkonzept zu begreifen, in dem es um Erholung und und Ruhe geht. So soll man "abschalten", in "Ruhe spazieren gehen" und sich auch mal "etwas gönnen". Nun wird sich der eine oder andere fragen, was man sich denn da noch gönnen könnte, wenn man doch fastet. Ich komme nicht umhin den Fastenanhängern eine gewisse masochistische Ader zu unterstellen, denn ein zentrales Thema ist immer wieder das Abführen und die schon angesprochene Darmreinigung. Wie man abführt ist eigentlich egal, Hauptsache es wird getan. Empfohlen wird dabei immer wieder der gute alte Einlauf! Aber auch Glaubersalz oder Sauerkrautsaft helfen den Darm ordentlich zu entleeren. Aber mal ehrlich: Wer will das wirklich und wer würde das als "wohlfühlen" bezeichnen? Vermutlich die gleichen Leute, die auch 200km-Läufe machen oder von 30m hohen Klippen springen.

Fasten als gesellschaftliche Anerkennung

Für mich sehr spannend waren die Reaktionen auf das Fasten. Es haben mich doch mehr Leute darauf angesprochen, als ich so erwartet hätte. Viele fragten mich "Warum machst du das?" und andere sagten, dass sie beeindruckt wären und sie das eigentlich auch schon immer mal machen wollten. Keiner hingegen sagte, dass er das vollkommen dämlich finden würde. Mein subjektiver Eindruck ist, dass Fasten allgemein durchaus anerkannt ist. Auch wenn es eigentlich kaum noch Gründe dafür gibt. Kaum jemand ist heute noch so religiös, dass er in der Fastenzeit tatsächlich auf Nahrung verzichtet und der medizinische Nutzen ist weitgehend unbewiesen. Trotzdem wird ein Fastender doch mit ein wenig Bewunderung angeschaut. Warum eigentlich?
Ich glaube, dass es an der Disziplin liegt, die man in aller Regel aufwenden muss, um das eigene Hungergefühl zu überwinden. Wir leben in einer Gesellschaft, die Disziplin, Frühaufsteher und Workaholics bewundert. Drogensucht wird als Krankheitsbild therapiert, während jemand, der eine krankhafte Sucht nach seiner Arbeit hat, als besonders erfolgreich gefeiert wird - ein Phänomen der Leistungsgesellschaft.

Fazit

Ich wurde ein paar mal gefragt, ob ich noch einmal fasten würde und die Antwort ist klar: Nein! Es erschließt sich mir keinen tieferer Sinn darin. Weder muss ich mir irgendwas beweisen, noch fühlte ich mich danach besser. Ich glaube, dass das "bessere Gefühl" eher eine Art Placebo-Effekt ist, den die Leute, die fest an die Wirkung glauben, auch verspüren. Vielleicht aber wirkt eine solche Fastenkur auch nicht bei jedem Menschen gleich. Die Verträglichkeit von Medikamenten ist ja auch nicht für jeden identisch.

Egal was es ist, ich assoziiere mit "wohl fühlen" weniger den Verlust als das Vorhandensein von Nahrung. Für mich ist Fasten also eher nichts.