Als die Piraten am
18.09.2011 ins Berliner Abgeordnetenhaus eingezogen sind, gab es
viele ratlose Gesichter. Politiker wie Journalisten wussten nicht so
recht mit dem Phänomen „Piratenpartei“ umzugehen. Seitdem steht
sie zu einem großen Teil im Fokus der Öffentlichkeit. Aber was ist
wirklich von dieser Partei zu halten? Und noch viel wichtiger: Was
können sich die Wähler von dieser Partei erhoffen?
Seitdem die Piraten ins
Abgeordnetenhaus eingezogen sind, rätseln Journalisten und Politiker
über diese Partei. Sie scheint aus kuriosen unrasierten Gestalten zu
bestehen, die „irgendwas mit Internet“ zu tun haben. Zum Glück
gibt es in der ARD inzwischen genügend Talk-Shows, um das Thema
erschöpfend zu behandeln. Schnell ist für viele der Grund gefunden:
„Protestwahl!“ Natürlich, es muss eine Protest-Wahl sein, wenn
jemand eine Partei wählt, die niemand kennt und eigentlich auch gar
kein Programm hat. Außerdem hat sie sowieso nur ein Thema, nämlich
Internet. Und dann wollen sie auch noch kostenlos Bus fahren. Wer
solche Leute wählt kann nur Protest-Wähler sein!
Piraten sind keine
Protestpartei
Nachdem aber die erste
Schockstarre überwunden war, wurde eigentlich allen schnell klar,
dass die Piraten absolut keine Protestpartei sind sondern tatsächlich
Ziele verfolgen, die für einen immer größer werdenden Teil der
Gesellschaft eine sehr wichtige Rolle spielen. An sich wussten die
etablierten Parteien das, dennoch haben sie die Situation
unterschätzt. Natürlich stehen bestimmte
Themen rund um Internet und Datenschutz längst in den
Parteiprogrammen der etablierten Parteien, allerdings nicht aus
Überzeugung, sondern aus wahltaktischen Gründen. Und das merkt man.
Es wird ja immer wieder
gerne betont, dass Politik mit Glaubwürdigkeit zu tun hat. Die
Piraten sind, was alle Themen rund um das Internet betrifft, sehr
glaubwürdig. Und auch genau deshalb sind sie gewählt worden. Nicht
um Europa aus der Schuldenkrise zu helfen und auch nicht, um die
Migrationspolitik zu revolutionieren. Es hat bei der Bundestagswahl
2011 auch niemand die FDP wegen ihrer Kompetenz in Sachen
Umweltpolitik gewählt.
Kritik an den Piraten
Interessant wird sein, wie
sich die Piraten in der politischen Wirklichkeit positionieren und
wie sie auf Kritik reagieren. Derzeit tobt in den Printmedien und in
der Blog-Welt der Krieg um die Frage, ob die Piraten wirklich
„Post-Gender“ oder einfach nur latent frauenfeindlich sind. Ich
finde es sehr bezeichnend, dass eine Partei, die gerade 8,9% der
Stimmen mit den Themen Internet, freien ÖPNV und Legalisierung von
Hanfkonsum erhalten hat, für ihre fehlende Frauenquote kritisiert
wird.
Dabei will ich gar nicht
darüber diskutieren, ob eine Frauenquote sinnvoll ist oder nicht.
Darüber können sich nicht einmal Feministinnen einigen. Bezeichnend
finde ich nur, dass die anderen Themen in der Kritik kaum berührt
werden. Vermutlich wissen die anderen Parteien, dass die Vorschläge
gar nicht so dämlich sind, wie sie sich im ersten Moment vielleicht
anhören mögen.
Dazu kommt, dass die
etablierten Parteien derzeit gehörigen Respekt haben und sich
ersteinmal positionieren müssen. In der Talkrunde Anne Will am 21.09.2011 gaben FDP und Grüne zum Beispiel kein gutes Bild ab.
Bärbel Höhn (B90/Grüne) gestand, dass sie „Internet guckt“ und
nicht benutzt und Martin Lindner (FDP) machte die ganze Zeit ein
Gesicht als hätte er gerade einen Einlauf mit anschließender
Darmspiegelung über sich ergehen lassen müssen. Zugegeben, die
Wähler haben der berliner FDP zwar einen 1,8%-Einlauf verpasst, aber
neue Sympathien hat die FDP an diesem Abend sicherlich nicht
gesammelt. Einzig Peter Altmaier von der CDU, von dem wir nun wissen,
dass er in seiner Jugend „Ramba Zamba“ gemacht hat, scheint sich
mit dem Phänomen „Piraten“ bereits deutlich intensiver
auseinander gesetzt zu haben. Ausgerechnet die CDU versteht die
Piraten? Die Partei, die Netzsperren errichten wollte und der größte
Befürworter der Vorratsdatenspeicherung ist? Manche Entwicklungen
sind wirklich erstaunlich.
Piraten als Chance für
die Zukunft
Die eigentlich wirklich
wichtige Frage aus Sicht des Wählers ist aber, was die Piratenpartei
für die Weiterentwicklung der demokratischen Kultur tun kann.
Immerhin sind die Piraten angetreten, um mehr Transparenz in die
Politik zu bringen. Dies ist mehr als wünschenswert, auch wenn es
vermutlich schwer umsetzbar sein wird. Zu sehr sind viele Politiker
davon überzeugt alles hinter verschlossenen Türen entscheiden zu
können.
Noch wichtiger als die
Transparenz ist aber die basisdemokratische Struktur der Partei. Ich
will ehrlich sein: Ich mag Basisdemokratie eigentlich nicht
besonders. Die Demokratie ist ja ohnehin schon nicht bekannt für
ihre schnellen Entscheidungen. Wenn dann aber jedes mal wirklich ALLE
befragt werden müssen, dauern Entscheidungsprozesse zum Teil eine
Ewigkeit. Außerdem sind viele Themen extrem komplex und somit nur
von den entsprechenden Fachleuten durchschaubar (wenn überhaupt!).
Warum also alle fragen?
Liquid Democracy
Die Piraten nutzen in großen
Teilen für ihre Entscheidungen Liquid Democracy (auch Delegated Voting genannt). Eine Art Mischform von repräsentativer und direkter
Demokratie. Die Idee dabei ist, dass man – sofern man denn möchte
– seine Stimme bei einer bestimmten Thematik einer Person seines
Vertrauens geben kann. Diese Stimme kann der Person aber auch
jederzeit wieder entzogen werden. Somit wird gewährleistet, dass
alle Stimmen bei einer Abstimmung berücksichtigt werden. Zumindest theoretisch.
Realisiert wird das ganze mit Hilfe einer Software namens Liquid Feedback.
Die Demokratie in dieser Welt steht auf wackligen Füßen. Anti-Terror-Gesetze, Vorratsdatenspeicherung und die generelle Macht der Wirtschaft zeigen, dass der eigentliche „Souverän“ - also der Bürger – immer mehr an Einfluss auf die politischen Entscheidungen verliert, während er sich aber gleichzeitig mehr Einflussmöglichkeiten wünscht, wie die Proteste zu Stuttgart21 oder den Flugrouten im Süden Berlins sehr deutlich zeigen. Genau an dieser Stelle könnte Liquid Democracy ansetzen.
Die Piratenpartei ist meines
Wissens die einzige Partei, die diese sehr moderne Form der
Demokratie einsetzt. Ihre Erfahrungen mit der derzeit in der Praxis
noch wenig getesteten Liquid Democracy könnte wegweisend für die
Zukunft sein. In einer Zeit, in der zum Teil zehntausende Menschen
über das Internet Online-Petitionen im Bundestag zeichnen, könnte
ein Werkzeug wie Liquid Feedback ganz neue demokratische
Möglichkeiten bieten. Volksentscheide wären vielleicht in sehr
einfacher Art und Weise durchführbar. Und natürlich preiswert.
Ein weiter Weg
Bis dahin ist es aber
natürlich noch ein weiter Weg, aber der erste wichtige Schritt ist
gemacht. Die Piraten – und damit das System der Liquid Democracy –
sind ins Berliner Abgeordnetenhaus eingezogen. Nun müssen sie
zeigen, dass ihre Versprechen für mehr Transparenz und
Basisdemokratie auch in der Praxis umgesetzt werden. Die Piraten
dürfen auf keinen Fall den Fehler machen sich von anderen Parteien
oder den Journalisten aufzwängen lassen, wie sie zu sein haben.
Piraten sind erfrischend anders und das sollten sie auch bleiben. Es
gibt schließlich jede Menge zu tun, wie der aktuelle Vorstoß von
Siegfried Kauder zeigt.
Leider gibt es innerhalb der
Piratenpartei auch Strömungen, die sich gegen Liquid Democracy
wenden. Ich stimme Sascha Lobo zu, der in seiner S.P.O.N.-Kolumne am 15.06.2011 darauf hinwies, dass das was die Demokratie derzeit nicht
brauche „keine Experimente“ wären. Auch hier müssen sich die
Piraten klar positionieren und vor allem von den anderen Parteien
abgrenzen. Die Piraten sind nicht gewählt worden, weil sie bereits
fertige Konzepte, sondern weil sie neue Gedanken und Ideen haben.
Die Piraten haben eine
schwere Aufgabe vor sich. Von ihnen wird nichts geringeres als die
Erneuerung der Demokratie erhofft. Ein hartes Los für eine so junge
und noch unerfahrene Partei. Es bleibt zu hoffen, dass die anderen
Parteien sich an den neuen Ideen der Piraten orientieren. Derzeit
sind die Piraten, was neue Ideen betrifft, allerdings – wie es
Angela Merkel ausdrücken würde – alternativlos.
Der Autor
ist Mitglied in keiner Partei, aber seit langem an den politischen
Inhalten der Piratenpartei interessiert. Er ist gebürtiger Berliner
und lebt seit zwei Jahren in Baden-Württemberg.
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