Donnerstag, 18. August 2011

Arrogante Linuxer

Wenn Ihr die Anwender wie Idioten behandelt, werden nur Idioten eure Software benutzen! Mit diesen Worten kommentierte kein geringerer als Linus Torvalds die Einführung von GNOME 3. Was hat den Erfinder von Linux zu so einer harten Aussage verleitet? Und vor allem: Ist sie gerechtfertigt?
Was war passiert? Im März 2011 kam die lang erwartete dritte Version der beliebten Desktop-Oberfläche für Linuxsysteme - GNOME 3 - heraus. Diese und die parallel dazu erschienene neue Desktop-Oberfläche von Ubuntu – Unity – haben vor allem aufgrund ihrer verringerten Konfigurationsmöglichkeiten für jede Menge kontroversen Gesprächsstoff in der Linux-Welt gesorgt.

Ob Torvalds harte Kritik berechtigt ist, lässt sich mit einem simplen „Nein!“ beantworten. So eine Aussage kann niemals gerechtfertigt sein, denn sie ist einfach zu allgemein. Sie könnte auf jede Software und von Personen verschiedenster Ansichten benutzt werden. Es hängt einfach nur davon ab, was man als idiotisch definiert. Die Befürworter dessen sind dann eben Idioten. Würde ich die exakt gleiche Aussage im Zusammenhang mit dem Linux-Kernel machen, würden mir vermutlich auch sehr viele Leute applaudierend Recht geben.
Für Linus Torvalds sind Idioten offensichtlich Menschen, die nur wenige Einstellungen an ihrem Desktop vornehmen. Leute, die etwas installieren und einfach nur benutzen wollen ohne groß konfigurieren zu müssen. Dies zumindest impliziert seine Aussage, denn der Hauptkritikpunkt an GNOME 3 (und übrigens auch an Ubuntus Unity) ist die mangelnde Konfigurierbarkeit. Es ist nicht etwa das neuartige Bedienkonzept oder die optische Gestaltung der Oberfläche. Es ist die Tatsache, dass Dinge geändert wurden und Menschen nun plötzlich etwas nicht mehr so tun können, wie sie es vorher getan haben.

Torvalds beschreibt in einem Blogeintrag auf Google+ zurecht einige Mängel an GNOME 3 und es gäbe sicherlich noch viel mehr zu schreiben. Aber wie sooft macht der Ton die Musik! Torvalds versucht nicht hilfreiche Tipps zu geben sondern er nörgelt herum. Auch im deutschsprachigen Raum wird gerne und viel genörgelt. Wenn IT-Leute über irgendwas neues berichten, dann benutzen sie gerne Worte wie unbrauchbar, unbenutzbar oder für professionelle Zwecke vollkommen ungeeignet. Aber nicht immer sind solche „Expertisen“ auch wirklich zutreffend. Genau wie es in der Wissenschaftsgeschichte einige tolle Irrtümer gab („Die Erde ist eine Scheibe!“) haben auch immer wieder IT-Größen durch legendäre Aussagen auf sich aufmerksam gemacht. Hier einige der schönsten und bekanntesten:

1943 soll Thomas J. Watson als Chef von IBM gesagt haben : „I think there is a world market for maybe five computers.“ („Ich denke, es gibt weltweit einen Markt für vielleicht fünf Computer.“)

Bill Gates im Jahr 2004: Spam wird in zwei Jahren der Vergangenheit angehören.“

Steve Ballmer kurz vor der Einführung des iPhones 2007: There's no chance that the iPhone is going to get any significant market share. No chance!" („Es gibt keine Chance, dass das iPhone einen signifikanten Marktanteil erhält. Keine Chance!“)

Im Nachhinein wirken diese Aussagen ein wenig belustigend, aber sie zeigen, dass auch Fachleute irren können. Im Gegensatz zu Gates und Ballmer, die sich in den letzten 20 Jahren eher als Marktanalysten denn als Entwickler verdient gemacht haben, ist Torvalds aber unabhängig von Geschäftszahlen oder Marktentwicklungen. Und als Entwickler eines der wichtigsten Open Source Projekte sollte er wissen, dass ein major release, also eine neue Version einer Software, mit vielen neuen Innovationen, immer Macken und Fehler hat. Erst recht, wenn es sich um eine komplette Neuentwicklung handelt.

Viele glauben in der Einschränkung der Konfigurationsmöglichkeiten in GNOME 3 (und auch in Ubuntus Unity, das einen ähnlichen Ansatz verfolgt wie GNOME 3) sei eine Einschränkung des freedom-of-choice, weil man ja nun nicht mehr alles anpassen kann, was man gerne will. Aber die, die das glauben, irren gewaltig. Das Prinzip des freedom-of-choice beruht darauf, dass man sein Betriebssystem konfigurieren kann, wie man es gerne hätte. Man kann zum Beispiel die grafische Oberfläche installieren, die man gerne hätte. Es bedeutet aber nicht, dass man jede grafische Oberfläche nach belieben anpassen kann. Es kommt doch auch niemand auf die Idee einen zwar modernen aber sehr spartanischen Windowmanager wie xmonad so umzugestalten, dass er aussieht und funktioniert wie ein KDE. Wer sich für xmonad entscheidet, weiß was er tut. Man möchte ein möglichst schlankes System ohne viel Schnickschnack. Die Wahl besteht also darin entweder ein vollständiges Desktop-Environment zu nutzen oder einen kleinen und schlanken Windowmanager. Wer aber behauptet, dass im professionellen Umfeld nur diese und jene Oberfläche zum Einsatz kommt und nun nicht mehr benutzbar ist, hat das System nicht verstanden und versucht mit markigen Schlagworten wie professionelles Umfeld zu suggerieren, dass es egal ist, was irgendwelche Leute vor ihren Rechnern tun. Als Pseudobeweise werden dann auch immer noch irgendwelche Gruppen genannt, von denen einfach niemand diese Software verwendet. Dann muss es ja Mist sein...

Es geht mir dabei gar nicht darum, ob man persönlich Unity oder GNOME 3 mag, sondern wie mit der Einführung neuer Techniken umgegangen wird. Menschen mögen insgesamt keine Veränderungen. Am liebsten wäre es ihnen, wenn alles so bliebe, wie es jetzt gerade ist. Diese Welt kennen sie, in dieser fühlen sie sich wohl. Wenn nun aber jemand käme und diese Welt verändert? Dinge, die schon immer auf der rechten Seite lagen, plötzlich nach links räumen würde? Das wäre schrecklich! In so einer Welt kann doch niemand leben!
Was so klingt wie die Beschreibung der Gedanken eines Einwohners einer Kleingartenkolonie, macht inzwischen scheinbar nicht einmal mehr vor der IT-Welt halt. Dabei – so sollte man meinen – ist doch die IT-Branche eine sich ständig verändernde Welt. Keiner sonst hat es in den letzten zwanzig Jahren geschafft so viele Innovationen hervor zu bringen, die gleichzeitig auch noch unser gesamtes Sozialleben so stark beeinflusst haben. Schon allein die Tatsache, dass ich hier einen Blogeintrag schreibe, der in der gesamten Welt gelesen werden kann, zeigt wie innovativ die Branche ist. Nicht jede Innovation oder neue Idee ist zwangsläufig eine Revolution und viele verschwinden auch wieder zurecht aus den Köpfen der Menschen. Aber jede Idee hat zumindest eine Chance verdient, gehört und verstanden zu werden.

Leider beschränkt sich diese Arroganz und Engstirnigkeit nicht nur auf die Linuxer selbst sondern auf die große Teile der Internetgemeinschaft, wie Sascha Lobo vor kurzem auf Spiegel online in einem anderen Zusammenhang feststellte.

Die Internetgemeinschaft – allen voran die Linuxer – sollten ein wenig von ihrem hohen Ross herunter kommen und nicht glauben, dass es nur einen Weg gibt. Sie selbst verlangen selbiges ja auch von ihrer Umwelt.
Damit Linus Torvalds sich auch in Zukunft nicht mehr ärgern muss, wenn XFCE – der Desktop, den er jetzt benutzt – eine überarbeitete Version heraus bringt, empfehle ich ihm fvwm2. fvwm2 wirbt damit bis ins letzte Detail individuell konfigurierbar zu sein. Ok, einige brauchen Jahre, um fvwm2 richtig anzupassen, aber irgendwas ist ja immer....!

Bis die Tage!
Marco

P.S.: So ähnlich wie der Führer in diesem Video wird sich vermutlich auch Torvalds gefühlt haben!

1 Kommentar:

  1. Ich habe mir Unity angesehen und fand die Grundidee sehr gut. Ich konfiguriere sowieso wenig - es bleibt doch mehr Zeit für "professionelle Arbeit", wenn ich nicht die ganze Zeit am Windowmanager rumbastle...
    Abgeschreckt hat mich nur die Gewissheit, in irgendwelchen Latex- und anderen Anwendungs-Channeln für die Wahl meines OS und WM angemacht zu werden. Mir ist das OS außerordentlich unwichtig, solange die Anwendungen darauf laufen.

    Wer behauptet, es gäbe nur einen richtigen Weg für alle, geht davon aus, dass alle das gleiche Ziel verfolgen.
    Und schon allein das trifft nicht zu.

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